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Patientenporträt: Wieder mit dem Leben verbunden

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Die Entwicklung einer Suchterkrankung ist ein Prozess, eine Geschichte, die tief im Leben eines betroffenen Menschen verankert ist. Auf dem Weg aus der Sucht wird eine neue Geschichte geschrieben, die von Herausforderungen, aber auch von kleineren und grösseren Erfolgen handelt. Mimi* erzählt uns im Gespräch ihre Geschichte.
 

Mimi ist 50 Jahre alt – eine aufgestellte, sportliche Frau mit einer unglaublichen Präsenz. Sie strahlt eine anregende, positive Energie aus und gleichzeitig eine wohltuende Ruhe. Mimi hat sich auf das Gespräch vorbereitet. Sie wirkt sehr strukturiert, ordnet ihre Notizen und beginnt zu erzählen.

Mimi wuchs in schwierigen Familienverhältnissen auf und erlebte einige Traumata. Trotzdem schien sie ihr Leben im Griff zu haben – beruflich wie privat. Sie absolvierte das Gymnasium, besuchte eine Kunstschule und arbeitete danach als Grafikerin. Mimi hatte einen tollen, stabilen Freundeskreis, war ideenreich und sportlich aktiv. Alles schien in Balance, doch dieser Schein trog. Innerlich fühlte sich Mimi verloren in der Welt. Sie haderte mit sich und ihrem Leben. Sie suchte inneren Frieden und fand ihn – zuerst in Cannabis, Alkohol und Tabletten, später dann in Kokain und Heroin. Tagsüber arbeiten, den sozialen Verpflichtungen nachkommen und den Schein wahren und abends konsumieren, um das «Dasein» zu ertragen. Diese Fassade konnte Mimi lange Zeit aufrechterhalten. Doch ihr Drogenkonsum nahm nach und nach überhand, die Fehltage bei der Arbeit häuften sich und die Fassade begann zu bröckeln. Es drohte der «Einsturz» und Mimi realisierte, dass sie so nicht weiterleben kann.

Mimi machte einen Entzug und anschliessend eine Langzeittherapie. Es schien, als hätte sie ihre dunkle Vergangenheit abgelegt. 13 Jahre lang lebte Mimi drogenfrei und nahm wieder aktiv am Leben teil. Dann lernte sie einen Mann kennen und ging mit ihm eine Beziehung ein. Doch anstelle von Liebe und Zuneigung erfuhr Mimi Erniedrigung und Missbrauch. Den Drogen entkommen, war sie nun gefangen in einer toxischen Beziehung. Und die Vergangenheit holte sie nach und nach ein. Mimi begann wieder Alkohol, Cannabis und Tabletten zu konsumieren und betäubte so den erneut erfahrenen Schmerz. Mit der Unterstützung von Freunden und ihrer damaligen Therapeutin schaffte es Mimi, die Beziehung zu beenden. Sie zog aus und war nun «frei». Die Drogen aber hatten sie wieder fest im Griff. Es drohte erneut der «Einsturz».

Mimi benötigte erneut Hilfe und fand sie – dieses Mal in der Klinik Selhofen. Hier machte Mimi den Entzug, setzte sich mit ihren Problemen auseinander, konnte «ordnen, was durcheinandergekommen war» und fand ihr inneres Gleichgewicht. Dabei halfen ihr die Therapiegespräche, der Austausch in der Patientengruppe, die Tagesstruktur und der Sport. Mimi lernte auch neue Methoden und Strategien kennen, die sie anwenden kann, wenn sie das «Reissen» hat. Diese geben ihr Vertrauen und Sicherheit. Sicherheit geben ihr auch die ambulanten Therapiegespräche in der Klinik Selhofen und die wöchentlichen Meetings in der Selbsthilfegruppe Narcotics Anonymous.

Heute ist Mimi seit über einem Jahr drogenfrei und mit dem Leben wieder verbunden. Aktuell arbeitet sie in einem Teilzeitpensum sowie ehrenamtlich in der Aktivierung von Menschen mit Demenz. Sie ist in einer glücklichen Partnerschaft, pflegt ihre Freundschaften und treibt viel Sport – eine wunderbare Methode, um Spannungen abzubauen und bei sich zu sein, so Mimi. Sie ist voller Tatendrang, Lebendigkeit und Begeisterung – und das ist spürbar. Obwohl ihre Vergangenheit an vielen Stellen sehr dunkel ist, blickt sie optimistisch in die Zukunft. Für die Zukunft wünscht sich Mimi, dass ihr Leben so vielseitig und lebendig bleibt wie es aktuell ist. Und dass sie weiterhin an Stabilität gewinnt. «Ich arbeite gerne an mir und mit mir und ich merke, dass es sich lohnt. Und ich merke auch, dass es möglich ist, negative Gefühle auszuhalten. Ich muss sie nicht mehr betäuben.»

* von der Interviewpartnerin gewünschtes Pseudonym
 

Autorin: Andrea Eichmüller, Leiterin Marketing

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